Taiwan umrudert, doch vor Prag kapituliert

by rikus on 21. Oktober 2010

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Ja, wir haben Taiwan im Ruderboot umrundet. Chinesen waren allerdings weit und breit nicht zu sehen, obwohl es doch heißt, man treffe sie heute überall. Taiwan ist jedoch unbewohnt, was bei einer Größe von etwa 150 mal 200 Metern nicht verwundern kann. Mitten im „Südböhmischen Meer“ gelegen, das auch als Lipno-Stausee bekannt ist, schreibt sich die Insel im Tschechischen natürlich Tajvan, denn ein „W“ kennen unsere südöstlichen Nachbarn nicht.

Tschechiens größter Stausee erstreckt sich im Böhmerwald (tschechisch Sumava) etwa zwischen den offiziellen Moldau-Kilometern 365 und 330. Vor zwei Jahren, als die traditionelle Gemeinschaftswanderfahrt des Rudervereins Berlin von 1878 und des PSB 24 von Orlik über Prag nach Pirna führte, hatten wir uns vorgenommen, noch einmal an die Moldau (tschechisch Vltava) zurückzukehren. Denn damals war unsere Fahrtenleiterin und -organisatorin Hannelore Gothan an der Teilnahme gehindert. Um allen – diesmal zwölf RVBler und nur sechs PSBler aus Wendenschloß – dennoch zu Neuwasser zu verhelfen, verlegten wir die Tour stromaufwärts, dorthin, wo die Moldau noch als wildes Wasser über Steine springen würde, wenn sie nicht vor knapp 60 Jahren durch eine gewaltige Betonmauer gezügelt und gestaut worden wäre.

Um das Meer im Böhmerwald in seiner ganzen Größe zu ermessen, hatten wir unseren Ausgangspunkt nicht nach Lipno – nahe der Staumauer – gelegt, sondern nach Cerna v Posumavi, etwa auf halber Strecke zwischen Anfang und Ende des Sees. Von dort ruderten wir am ersten Tag bis dicht an den Betondamm. Frohgemut ließen sich die drei Viererbesatzungen anfangs dazu bewegen, auch in die langgestreckten „Fjorde“ der Seitentäler zu rudern. Doch mit zunehmender Strecke und steigender Sonne schwand der Tatendurst. Am Rande von Lipno angekommen, wo der Landdienst wartete, strebten manche nur noch schnurstracks zurück nach Cerna (es war die Zeit der Fußball-WM, und am Abend sollte die Löw-Elf ihren grandiosen Sieg gegen Argentinien erspielen). Den eigentlich geplanten Abstecher nach Österreich – ein winziger Teil des Sees gehört zum Nachbarland – musste ich daher allein unternehmen (der Einer „Bläuling“ gehörte auch zur Flotte). Der Ausflug endete aber enttäuschend: Ich fand mich vor einer dichten Schilfwand, aus der zwei, drei Grenztafeln ragten.

Anderntags erkundete wir den oberen Teil des Stausees, entdeckten die Stelle, an der die Moldau als flacher, schnell strömender Lauf in den See fließt – und umrundeten auf der Rückfahrt Tajvan, also Taiwan.

Unterhalb der Staumauer, zwischen den Kilometern 329 und 207, lässt sich die Moldau, wenn überhaupt, nur mühsam berudern, denn etliche Wehre behindern die Fahrt. Also verluden wir die Boote in Cerna wieder, stiegen in unsere beiden Kleinbusse und steuerten Tyn nad Vltavou an. Unterwegs pausierten wir in Ceske Budejovice, wo uns Ralph Wagenhuber – hervorragend belesen – mit Geschichte und Sehenswürdigkeiten der Stadt bekannt machte. Dass man Budweis nicht verlassen kann, ohne Budweiser gleichsam an der Quelle verkostet zu haben, dürfte sich von selbst verstehen.

In Tyn nad Vltavou beginnen die meisten Rudertouren, denn die folgenden Stufen der Moldau-Kaskade lassen sich mit Hilfe von Schleusen und anderen technischen Mitteln überwinden. Wir wollten allerdings möglichst keinen ruderbaren Kilometer auslassen, fuhren also zuerst stromaufwärts bis vor das nächste Wehr und anschließend ein Stück die Luznice hinauf, die sich unterhalb Tyns mit der Moldau vereinigt.

Bei Korensko passierten wir endlich die erste Schleuse, die es vor knapp 40 Jahren, als einige von uns die erste Moldau-Fahrt unternahmen, noch gar nicht gab. Vor uns lag nun der Orlik-Stausee, der längste des Landes, der von atemberaubenden Brückenkonstruktionen überspannt wird. Am Ufer sahen wir, wie Angler mit riesigen Welsen kämpften. Ein meterlanges Exemplar wurde auch an Land gezogen, nach dem obligatorischen Siegerfoto aber wieder in die Freiheit entlassen.

Nach mehr als 50 Kilometern erreichten wir unser Tagesziel unterhalb der Burg Zvikov, der Königin der böhmischen Burgen, die den Zusammenfluss von Moldau und Otava krönt. Die gotische Burg selbst hatten wir schon zwei Jahre zuvor besichtigt, damals aber die Otava nicht berudert. Das wurde in diesem Jahr nachgeholt. Der Stau reichte allerdings nur etwa 18 Kilometer flussaufwärts. Steine und Wirbel zwangen uns zur Umkehr. Dafür hatten wir unsere Tour bereits vorher durch zweieinhalb Kilometer auf der Lomnice zur Vier-Flüsse-Fahrt gemacht.

Wieder war Fußball-Abend. Der Barkeeper unseres Hotels hatte die deutschen Gäste sogar mit schwarz-rot-goldenen Papierfähnchen ausgestattet. Zum Schwenken war allerdings wenig Gelegenheit: Die Lahm-geführte Bundestruppe verlor gegen Spanien.
Den Rest der Strecke kannten wir bereits aus dem Jahre 2008: Von Zvikov ging es zunächst zum Schloss Orlik. Wie es fahrendem Volk gebührt, nahmen wir unser Mittagsmahl auf Steinen zu Füßen des pompösen Schwarzenberg-Besitzes ein. Abends erreichten wir die Orlik-Staumauer bei Solenice. Die überwanden unsere drei Vierer – samt Besatzungen – am nächsten Tag mit Hilfe des wohl einzigartigen Bootsfahrstuhls.

Jenseits des Sperrwerks bilden steile Felswände, an denen sich Kletterkünstler versuchten, das Ufer. Noch eine Schleuse war zu passieren, während die Sonne vom Himmel brannte und die Mannschaften zermürbte. Erst zur Mittagspause auf einem Campingplatz gab es die Möglichkeit, den Körper im Moldau-Wasser abzukühlen. Abends machten wir im Hotel „Hladina“ bei Nebrich Station.

Von dort sollte uns der letzte Rudertag eigentlich nach Prag führen. Davor hatte sich jedoch der Slapy-Staudamm vor uns aufgebaut, den wir wie üblich mit Hilfe eines Traktors mit Hänger zu überwinden gedachten. Das gelang auch, allerdings kostete uns die Prozedur volle vier Stunden. Der Andrang an der Übersetzstelle war enorm, die Motorisierung des Wassersports nimmt auch in Tschechien sichtlich überhand.
Anders als zwei Jahre zuvor erwartete uns zu Füßen der riesigen Staumauer diesmal nicht strömender Regen, so dass wir den Blick himmelwärts richten konnten – auf Hütten und Villen, die in schwindelnden Höhen an den felsigen Ufern kleben.

Noch drei Schleusen lagen zwischen uns und Prag. Die erste in Stechovice meisterten wir problemlos in Gesellschaft der vielköpfigen Besatzung eines motorisierten Schlauchboots, die sich faul in der Sonne räkelte. Wir dagegen waren auf unsere Handarbeit angewiesen, und die fiel angesichts der Temperatur und der fortgeschrittenen Zeit immer schwerer. Endlich erreichten wir Mechenice, eigentlich als Rastort gedacht. Da unterbreitete ausgerechnet der Landdienst (!) den Vorschlag, den Rest der ohnehin nicht mehr so reizvollen Strecke zu streichen, die Boote zu verladen und Prag per Bus anzusteuern. Die Mehrheit empfand das als Erlösung und stimmte erleichtert zu. Gesagt, getan: So endete die diesjährige Wanderfahrt mit einer Kapitulation rund 20 Kilometer vor Prag. Für den Zustand der Mannschaften mag sprechen, dass nur wenige am Abend das Hotelschiff „Racek“ verließen, um durch die Goldene Stadt zu streifen. Selbst die Fußballbegeisterung hatte gelitten: Vor dem Fernseher im unerträglich heißen Schiffsrestaurant ließen sich die Ruderer nur selten sehen, obwohl die DFB-Auswahl an diesem Abend Uruguay besiegte und WM-Dritter wurde.

Trotz des vorzeitigen Endes nach durchschnittlich 255 Ruderkilometern: Auch die neunte unserer Gemeinschaftsfahrten war reich an Erlebnissen, wofür allen, die zum Gelingen beigetragen haben – eingeschlossen den ständigen Landdienstfahrer Wolfram Bartocha – Dank zu sagen ist. Eine Schlussfolgerung ist wohl, dass wir künftig nicht mehr ganz so lange Etappen einplanen – oder uns mehr Zeit nehmen.

Detlef D. Pries

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